Beim Duzen war ich früher immer sehr zurückhaltend. Das "Du" war für mich ein besonderes Siegel des Vertrauens und der Anerkennung. Wenn ich mich im beruflichen Umfeld mit jemandem Duzte, hatte das für mich immer eine besondere Bedeutung. Außerdem ist es etwas, was man nur schwer wieder rückgängig machen kann. Man kann jederzeit jemandem das "Du" anbieten, aber man kann ja hinterher schlecht jemandem wieder das "Sie" anbieten.
Dann führte diese Einstellung aber zu paradoxen und schwer auflösbaren Situationen. Ich hatte einen Kunden, den ich siezte. Eines Tages hatten wir eine international besetzte Telefonkonferenz auf Englisch, und wie selbstverständlich sprachen sich alle mit dem Vornamen an - was ja im Englischen schon irgendwie das Äquivalent zum Duzen ist. Nach dem Ende der Telefonkonferenz hatte ich den Eindruck, dass wir beide etwas peinlich berührt waren und nicht wussten, wie wir uns jetzt ansprechen sollten. Wir sind dann beim "Sie" geblieben, ohne darüber zu reden.
Mit dieser Anekdote möchte ich ein Beispiel dafür geben, dass Umgangsformen, die uns im deutschen Kulturkreis vielleicht wichtig sind, beim Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen ihren Sinn verlieren können, vielleicht sogar zum Anachronismus werden. Und im modernen Arbeitsleben gibt es fast immer ein miteinander unterschiedlicher Kulturen. Selbst wenn es in diesen Kulturen eine Höflichkeitsform ähnlich dem "Sie" gibt, ist die Bedeutung oft ganz anders. Bei unseren Skandinavischen Nachbarn würden es viele als ziemlich schräg empfinden, wenn man sich im normalen Umgang siezt, egal ob man sich kennt oder nicht.
Es gibt Zeitgenossen, die es bedauern, dass die Siez-Kultur auf dem Rückzug ist. Ich gehöre nicht dazu. Auch wenn das "Du" etwas oberflächlicher geworden ist, macht es vieles unkomplizierter und leichter im Arbeitsleben.
Als Interim Manager duze ich aber nicht einfach jeden wenn Deutsch gesprochen wird. Ich lote die Firmenkultur aus und passe mich entsprechend an. Lieber einmal zu oft "Sie" sagen als vorschnell zum "Du" zu wechseln und möglicherweise als übergriffig erscheinen.